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24.09.2021 | Pressemeldung
„Wir sind weiter, als viele denken“
FAZ-Interview mit Joachim Kreysing und Matthias Braun vom 21.09.2021
Frankfurt - Einer der größten CO2-Produzenten ist die Chemie- und Pharmaindustrie. Sanofi-Manager Matthias Braun und Joachim Kreysing von Infraserv Höchst erklären, was nötig wäre, damit die Branche klimafreundlicher wird.
Herr Braun, Herr Kreysing, sind Sie gegen Klimaschutz?
Braun: Nein, natürlich nicht. Wir sind schließlich selbst vom Klimawandel betroffen: Wir haben zum Beispiel das größte Dach im Industriepark Höchst, es ist 400 mal 200 Meter groß. Da merken wir sehr deutlich die Auswirkungen von häufigeren Starkregen mit 50 Liter pro Quadratmeter. Bei unserem Hochregallager interessiert es den Industrieversicherer sehr, ob es den künftig stärker werdenden Sturmbelastungen standhält. Und ein Niedrigwasser im Rhein bedroht unsere Rohstoffversorgung.
Kreysing: Niemand duckt sich bei dem Thema mehr weg, und niemand stellt das Ziel infrage. Wir haben ja auch ein stark ausgeprägtes ökonomisches Eigeninteresse daran, Klimaschutz zu betreiben. Die Chemieindustrie hat aber leidvoll lernen müssen, sicherheitsbewusst zu sein und Risiken rechtzeitig zu kalkulieren. Das zahlt sich jetzt aus. Wir haben etwa neue Konzepte gegen höhere Hochwasser entwickelt, der Industriepark erstreckt sich ja entlang des Mains.
Ist denn Chemie- und Pharmaproduktion überhaupt emissionsfrei möglich? Dieses Ziel zumindest hat der Branchenverband VCI bis 2050 ausgegeben.
Braun: Wir sind auf dem Weg. Was uns fehlt, ist ein Fahrplan, wie wir das Ziel erreichen wollen und erreichen können. Politik und Wirtschaft müssten gemeinsam eine Kosten-Nutzen-Analyse aufstellen, mit welchen Technologien wir in welchem Zeitraum wie viel erreichen können – und was die Umsetzung dieser Pläne jeweils kosten wird. Stattdessen gibt es in der Politik einen Überbietungswettbewerb bei Zielen und Maßnahmen, ohne darauf zu achten, ob diese Ziele überhaupt erreichbar sind und wie hoch die Kosten sein werden.
Kreysing: Wir müssten viel technologieoffener und vorurteilsfreier über Brückentechnologien diskutieren. Da denke ich zum Beispiel an „blauen“ Wasserstoff, bei dessen Herstellung das Kohlendioxid abgetrennt und gespeichert wird. Das wäre eine schnelle, wirksame Lösung für den Übergang. Wir wollen aber immer die perfekte Lösung vom ersten Tag an, bei dem konkreten Beispiel also „grünen“ Wasserstoff, der ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird. Wenn wir uns aber die Hürde immer gleich so hoch legen, wird das nicht funktionieren, dann erreichen wir unsere Ziele nicht.
Wo entsteht bei Ihnen das meiste CO2?
Kreysing: Infraserv Höchst stellt den Unternehmen im Industriepark Höchst als Standortbetreiber unter anderem ganz unterschiedliche Formen von Energie bereit. Benötigt wird entweder direkt Strom oder auch Prozesswärme für Produktionsprozesse in der Chemie. Dafür nutzen wir konsequent die Vorteile der Kraft-Wärme-Kopplung. Derzeit sind wir gerade dabei, ein Kohlekraftwerk durch hocheffiziente Gasturbinenanlagen zu ersetzen. Dadurch werden wir den Ausstoß von einer Million Tonnen CO2 vermeiden – auch weil wir dann mehr Strom selbst herstellen und weniger Kohlestrom importieren müssen.
Braun: Für den Pharmakonzern Sanofi ist Höchst der größte Standort, der größte Energieverbraucher sind wir hier nicht, das sind die Chemieunternehmen. Wir haben eine Anschlussleistung von rund 120.000 Megawattstunden. Wir benötigen viel Strom in der Forschung, in der Insulinfermentation, für Klimaanlagen und Lüftungen. Die Energiekosten machen etwa zehn bis 15 Prozent aller Kosten aus. Energie zu sparen beschäftigt uns daher nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch aus Kostengründen.
Welche Einsparungen sind möglich?
Kreysing: Mit viel Strom zu angemessenen Preisen und viel Wasserstoff aus dem Ausland kann man Klimaneutralität in Höchst durchaus realisieren. Dafür brauchen wir aber die entsprechenden Energiemengen und die Netze, zum Beispiel transnationale Wasserstoffpipelines. Nur dann werden wir die ausreichenden Mengen an Wasserstoff bekommen können.
Bislang gibt es solche Pipelines nur regional, etwa im Ruhrgebiet oder bei Leuna/Bitterfeld in Sachsen-Anhalt.
Kreysing: Ein überregionales Pipelinenetz für den Transport wird derzeit diskutiert und in den nächsten zehn Jahren Gestalt annehmen. Die Idee dahinter ist, dass Wasserstoff in Regionen produziert wird, in denen viel Strom aus erneuerbaren Quellen produziert werden kann, etwa an der Nordsee oder in Südspanien. Man kann für dieses Pipelinenetz übrigens zum Teil auch bestehende Erdgasleitungen nutzen. Wir müssen in Hessen darum kämpfen, dass wir zumindest im nächsten Jahrzehnt an die neuen Wasserstoffpipelines angeschlossen werden. Zum Industriepark Höchst direkt führen derzeit keine geeigneten Leitungen.
Braun: Ich möchte auch die Option Carbon Capture and Storage ansprechen...
...also das Auffangen und Speichern von Kohlendioxid im Untergrund...
Braun: ...das wird in Deutschland sehr dogmatisch diskutiert. Hier heißt es, die Gefahren seien unwägbar, während diese Technologie zum Beispiel in Norwegen längst praktiziert wird. Das ist zweifellos keine Dauerlösung, aber wäre eine schnelle und vergleichsweise günstige Übergangstechnologie, die größere Investitionen in die Zukunft ermöglicht. Und auch der Diskussion über eine Verlängerung der Atomkraft müsste man sich abermals stellen: Was ist uns wichtiger? CO2-Vermeidung oder die Verlängerung bereits bestehender Risiken? Es gibt nun einmal keine Magic Bullet, kein einzelnes Instrument, um das Emissionsproblem schnell zu lösen. Und auch die Geschwindigkeit in einzelnen Branchen und Industrien wird sich unterscheiden. Das muss allen klar sein.
Kreysing: Wir müssen auch in der Übergangszeit die Kosten im Griff halten. Niemandem ist geholfen, wenn energieintensive Industrien aufgrund ihre Produktion aufgrund hoher Energiekosten in Länder verlagern, in denen stärker emittiert werden darf. Da müssen wir die richtige Balance finden.
In der Politik gilt vor allem die schnellere Anhebung des Kolendioxidpreises als wirksames Instrument, auch die CDU ist dafür. Wie sehen Sie diese Debatte?
Braun: Bei Sanofi dürfte dies zu einer Verteuerung der Energiekosten von rund 20 Prozent führen, je zur Hälfte durch die CO2-Bepreisung und den Anstieg der Primärenergiepreise.
Kreysing: Der europäische Emissions-Zertifikatehandel ist grundsätzlich der bessere Weg, weil er eher die erlaubte Kohlendioxidmenge begrenzt und nicht einfach die Energiepreise steigen. Wir glauben, dass dieses marktwirtschaftliche Instrument die Emissionen besser steuert.
Braun: Steuerung muss Doppelbelastung vermeiden. Wir haben doch jetzt schon mehr als 120 Euro Kosten je Megawattsunde durch die EEG-Umlage und die CO2-Kosten. Das ist mehr, als der Strom selbst an den Börsen derzeit kostet.
Sind Sie nicht teilweise abgabenbefreit?
Kreysing: Für die selbsterzeugte Energie sind wir in der Tat durch das Eigenstromprivileg von der EEG-Umlage befreit. Am Standort sind einige energieintensive Unternehmen ebenfalls befreit. Der Mehrzahl der chemischen Unternehmen, gerade Mittelständlern, hilft das aber nicht.
Braun: Bei Sanofi haben wir eine kleine Dampfturbine, dafür haben wir eine Befreiung, wir kaufen aber auch eine Menge an Energie hinzu.
In der Branche wird ja auch immer wieder mal damit gedroht, ins Ausland abzuwandern, wenn die Energiekosten steigen. Wie realistisch ist das wirklich?
Kreysing: Die Gefahr sehe ich durchaus, wenn es nicht Kompensationen gibt, Stichwort Kohlendioxid-Grenzlastausgleich, also quasi ein CO2-Zoll auf Importe. Konkret wird das aber extrem schwierig und im Export lässt sich das Prinzip ohnehin aus rechtlichen Gründen nicht umsetzen. Eine andere Option besteht darin, dass Pionierunternehmen die Kostendifferenz für ihre Umstellung erstattet bekommen. Das geht aber nicht flächendeckend.
Braun: Eine Abwanderung von energieintensiven Produktionen kann ich mir in Einzelfällen vorstellen. Kritischer sehe ich aber, ob sich bei hohen Energiepreisen langfristig noch Neuansiedlungen lohnen. Zumal wenn der Import per Schiff günstiger wird. Das würde der Industriepark Höchst nicht sofort spüren, aber langfristig wird er dann weniger attraktiv.
Ihre Kritiker halten der Industrie vor, dass immer mit Abwanderung gedroht wurde, aber Unternehmensgewinne bislang nicht unter steigenden Preisen leiden.
Braun: Da gab es in der Vergangenheit aus der Branche sicher Kommunikationsfehler. Aber umgekehrt darf auch nicht der Eindruck aufkommen, dass es für die Wirtschaft gar keine Belastungsgrenze gibt. Die ist irgendwann erreicht. Und wenn sie erreicht ist, dann handeln die Unternehmen, gegebenenfalls auch ohne laute Kommunikation.
Kreysing: Der Verlust ereignet sich ja auch schleichend: Wenn ich als Unternehmen weniger investiere, geht zunächst kein einziger Arbeitsplatz verloren, aber es wird eine langfristige Spirale in Gang gesetzt. Zuerst wird eine Anlage nicht mehr modernisiert, irgendwann kann man nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren, und dann wird die Anlage abgeschaltet. Wenn ein Unternehmen heute entscheidet, einen Standort nicht mehr weiterzuentwickeln, merkt man die Auswirkungen erst in fünf oder zehn Jahren.
Aber wo sparen Sie derzeit konkret Kohlendioxid? Reduzieren Sie den Lastenverkehr oder Ihre Dienstreisen?
Kreysing: Das Problem der zunehmenden Warenströme zwischen verschiedensten Produktionsstandorten und just in time stellt sich in anderen Branchen stärker. Wir wickeln immer noch sehr viel Rohstofftransporte über Schiff und Schiene ab, Schiff ist dabei der preiswerteste Verkehrsweg und die Straße der teuerste.
Braun: Rund 80 Prozent unserer Emissionen entstehen tatsächlich nicht in der Produktion, sondern im Transport und bei Lieferketten. Und da fallen vor allem die Flugreisen auf. Seit Covid gibt es aber die klare Ansage bei Sanofi, das Reisegeschehen auch in Zukunft auf 30 Prozent des Vorkrisenniveaus zu reduzieren.
Und wie sieht es mit Dienstwagen aus?
Braun: Bei den Dienstwagen senken wir von Jahr zu Jahr die Vorgaben, welche CO2-Emissionen erlaubt sind. Dadurch gehen zum Beispiel keine SUVs mehr, sondern nur noch Hybrid oder Elektro. Da ist aber ohnehin die Belegschaft längst weiter, als viele meinen.
Kreysing: Ich selbst fahre ein wasserstoffgetriebenes Auto, mein Geschäftsführungs-Kollege hat ein Elektrofahrzeug. Da debattieren wir gern, wer umweltfreundlicher unterwegs ist. Insgesamt sind wir dabei, die Flotten umzustellen. Es gibt ohnehin kaum noch Mitarbeiter, die kein Hybrid- oder Elektroauto wollen.
Das heißt, Sie stellen auch überall auf dem Gelände Ladestationen auf?
Kreysing: Wir haben noch relativ wenige in Höchst. Aber bis Jahresende werden wir im Nordteil des Industrieparks rund 20 Ladestationen aufbauen, auch wenn man damit kein Geld verdienen kann. Dann kommt der Südteil an die Reihe. Denn wir wollen als Industrieparkbetreiber den Transformationsprozess aktiv unterstützen.
Braun: Wir werden als Chemie- und Pharmabranche vielleicht nicht an der Speerspitze der Bewegung gesehen. Aber das Bewusstsein für solche Themen ist stetig präsent, und wir sind dran.
Joachim Kreysing ist Geschäftsführer des Industrieparkbetreibers Infraserv Höchst.
Matthias Braun ist Geschäftsführer für Produktion und Fertigung bei Sanofi Deutschland.
(Die Fragen stellte Falk Heunemann/FAZ.)